Die Endungen -itz, -ow, -in

P. Wasserscheidt/ Ortsnamen

Viele slawische Ortsnamen kann man sofort an ihrer Form erkennen. Genauer: An ihrer Endung[1]Sprachwissenschaftlich korrekt handelt es sich hier nicht um eine Endung, sondern um ein Wortbildungsmorphem. Endungen sind Morpheme, die in der Flexion verwendet werden, also bei der Änderung von … Continue reading. Anscheinend unendlich reihen sich Ortsnamen mit einer stets ähnlichen Form aneinander: Bülow, Barow, Gatow, Siedow, Pankow und Kleinow oder Panschwitz, Ralbitz, Miltitz, Auwitz, Schmokwitz und Jedlitz.

Diese Ähnlichkeit hat zwei Gründe. Der eine Grund ist, dass die slawischen Sprachen bis heute eine sehr produktive Wortbildungsmorphologie haben. Während man im Deutschen Substantive zu immer wieder neuen Komposita kombinieren kann (man nutzt also das Mittel der Komposition, um neue Wörter zu bilden), so kann man in den slawischen Sprachen eine Wurzel mit vielen verschiedenen Wortbildungsmorphemen verbinden, um neue Wörter zu erzeugen (neue Wörter werden also durch sogenannte Derivation erzeugt). Das gilt auch für die Ortsnamen. So sind die slawischen Ortsnamen in Deutschland nur zu einem ganz geringen Teil Komposita, sondern stellen überwiegend durch Derivation erzeugte Formen dar.

In der folgenden Tabelle ist diese Besonderheit einmal anhand der Gegend im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, die in diesem Artikel behandelt wurde, veranschaulicht. Es ist gut zu sehen, dass der größte Teil der slawischen Ortsnamen aus Derivationen bestehen, während die deutschen Ortsnamen fast ausschließlich Komposita mit -berg, –dorf, -see, -beck oder –hagen als zweitem Glied sind.

Deutsche OrtsnamenSlawische Ortsnamen
Einfache WurzelnHelpt?Golm, Brohm, Roga, Rowa, Rattey, Cosa
DerivationenNeetz-ka, Badre-sch, Rühl-ow, Never-in, Glien-ke, Riep-ke, Pasen-ow, Alt- und Neu-Käbel-ich, Loi-tz, Groß- und Klein-Daberk-ow, Kreck-ow, Lepp-in, Stav-en, Ball-in, Cant-n-itz, Wanz-ka, Laev-en, Dolg-en
KompositaStaven-hagen, Kratze-burg, Wesen-berg, Linde-tal, Peters-dorf, Teschen-dorf, Blanken-see, Holl-dorf, Möllen-beck, Spon-holz, Prags-dorf, Neuen-kirchen, Trollen-hagen, Eich-horst, Schön-beck

Der zweite Grund der großen formalen Ähnlichkeit der slawischen Ortsnamen besteht darin, dass für die Bildung der Ortsnamen nur eine kleine Auswahl an Morphemen verwendet wurde. Ganz zentral sind hier zwei Typen: Ein Typ von Adjektiven gibt an, dass dem Substantiv etwas gehört, es handelt sich also um possessivische Adjektive.

Possessivische Adjektive werden bis heute in praktisch allen slawischen Sprachen mit den zwei Morphemen -ow und -in gebildet. Das Morphem -ow wird verwendet, wenn das Substantiv selbst entweder maskulin (und damit meist auf einen Konsonanten endet) oder neutrum ist (und auf -e oder -o endet). Das Morphem -in hingegen wird bei allen femininen Substantiven verwendet (die meist auf -a enden).

Wenn also jemand Petr heißt, dann bildet man daraus das Adjektiv petrov ‘Peters’ oder ‘petersche’. Heißt jemand Aleksandr, dann lautet das Adjektiv aleksandrov ‘Aleksanders’.

Aus dem Substantiv mama bildet man hingegen mamin ‘Mamas’. Aus papa (auch ein feminines Substantiv) bildet man papin ‘Papas’. Und aus Olga bildet man olgin ‘Olgas’.

Da es sich bei den neuen Wörtern um Adjektive handelt, passen sie sich in ihrer Form dem Substantiv an, auf das sie sich beziehen. Es wird also eine Endung hinzugefügt. Ist das folgende Substantiv (also das, was besessen wird) maskulin, bleibt es bei den genannten Formen: petrov hleb, mamin hleb ‘Petrs/Mamas Brot’. Ist das Substantiv sächlich, fügt man ein -o hinzu: petrovo pivo, mamino pivo ‘Petrs/Mamas Bier’. Und wenn das Substantiv feminin ist, lautet die Endung -a: petrova ruka, mamina ruka ‘Petrs/Mamas Hand’. Das ist insofern interessant, als alle slawischen Ortsnamen in Deutschland in der maskulinen Form auftreten, während in den slawischen Ländern gerade bei kleineren Orten eher neutrale Formen verwendet werden:

Slawischer Ortsname in Dtl.PolenUkraineSlowakeiSerbien
GrabowGrabowo (aber auch Grabów)HrabovoHrabovoGrabovo

Das -w am Wortende wurde/wird in den meisten Dialekten des Polabischen und des Sorbischen schwach oder gar nicht ausgesprochen oder in einen Vokal umgewandelt. Möglicherweise wurde es auch als Halbvokal ausgesprochen, wie das Ł im Polnischen und das Ў Belarussischen. Aus diesem Grund werden viele Ortsnamen diesen Typs heute mit –au (Spandau, Mölkau, Lübbenau) oder mit -o (Torno) geschrieben. Teilweise hat sich das -ow in den Ortsnamen auch zu einem -a entwickelt (Weida). Und nicht selten hat sich die Schreibweise über die Jahrhunderte mehrmals geändert.

Beim zweiten Typ von Ortsnamen ist die Situation eine andere: Hier sind verschiedene Wortbildungsmorpheme zu einer Endung verschmolzen. Konkret haben wir es hier vor allem mit Patronymen, Stammesbezeichnungen und Ableitungen mit -ica zu tun.

Patronyme oder Vatersnamen gibt es in vielen Sprache (siehe Wikipedia). In den slawischen Sprachen werden Patronyme für Söhne überwiegend auf -ovič gebildet. Bei Töchtern dagegen werden die Vatersnamen mit -ovna/-ivna gebildet (wobei das eingeschobene -ov- im Prinzip das gleiche possessivische -ow ist, das wir oben schon gesehen haben). Verpflichtend sind die Vatersnamen im Belarussischen, Ukrainischen und Russischen. Heißt der Vater von Petr mit Vornamen Aleksandr, dann ist der Vatersname von Petr im Russischen Aleksandrovič (Alexandrowitsch). Für die Tochter Olga ist der Vatersname Aleksandrovna (Alexandrowna). Im Bosnischen, Kroatischen, Montenegrinischen und Serbischen haben sich die meisten Familiennamen aus genau solchen Patronymen entwickelt. So ist Milošević irgendwann mal der Sohn von Miloš gewesen. Ortsnamen, die auf Patronyme zurückgehen, haben also meist eine Endung in der Form –(o)witz: Tauchwitz, Puschwitz, Beckwitz, Clanschwitz, Plagwitz. Im Lauf der Zeit ist das o (oder auch e) vor dem -witz oft verschwunden. Meist findet man die vollständige Form noch bis in das 14. oder 15. Jahrhundert.

Verwandt mit den Patronymen sind die Stammesbezeichnungen auf -ici.

Zu den Ortsnamen auf -itz gehören auch Ortsnamen auf -ica, bei denen das a am Ende weggefallen ist. Das Morphem -ica ist ein sehr weit verbreitetes Element in den slawischen Sprachen mit einer großen Funktionsvielfalt. Allerdings gibt es kaum Ortsnamen im deutschen Raum, bei denen das -a am Ende tatsächlich auch belegt ist. So kann man zwar annehmen, dass Kamenz und Chemnitz aus kamen-ica ‘steiniger Ort’ entstanden sind, in den Dokumenten (siehe Kamenz und Chemnitz im Digitalen historischen Ortsverzeichnis von Sachsen) fehlt diese Form jedoch oft.

Wie sieht die Verteilung der drei Formen insgesamt aus? Nach dem derzeitigen Stand unserer Datenbank ergibt sich folgendes Bild:

Die Anzahl der Ortsnamen mit einer dieser drei Endungen summiert sich auf 2.182 – das sind ungefähr 60% der bisher erfassten 3.687 Ortsnamen (Stand Oktober 2021). Nicht eingerechnet sind bisher Formen, nicht nicht mehr auf -itz, -ow, -au, -o, -in oder -ien enden (sondern z.B. auf -a, -ig usw.). Diese werden nach und nach hinzugefügt.

Interessant ist es nun, sich einmal die geographische Verteilung dieser Endungen anzuschauen. Einerseits werden alle Endungen tatsächlich in allen slawischen Ländern verwendet. Daher ist es unwahrscheinlich, dass es in diesem Bereich prinzipielle Unterschiede zwischen der polabischen und der sorbischen Sprachgruppe gegeben hat. Andererseits fällt die Häufung bestimmter Endungen in unterschiedlichen Regionen sofort ins Auge, so zum Beispiel die Endung -itz in Sachsen oder die Frequenz von -ow in Mecklenburg.

Die Verteilung dieser drei Hauptformen -itz, -ow (und seiner Schreibweisen -au und -o) und -in im ehemaligen slawischen (und heutigen sorbischen) Siedlungsgebiet zeigt tatsächlich Unterschiede, wie die folgenden drei Karten zeigen:

Es ist gut zu erkennen, dass die Endung -in auf den Norden Brandenburgs und auf Mecklenburg-Vorpommern konzentriert ist. Dagegen finden sich die meisten Ortsnamen auf -itz in Sachsen – auch wenn die Endung im ganzen Raum verbreitet ist. Mit der Ausnahme von Rügen lässt sich aber ein klares Nord-Süd-Gefälle erkennen. Die Endung -ow mit ihren Schreibweisen dagegen ist zwar im Norden etwas häufiger, aber bei weitem nicht so stark auf eine Region konzentriert, wie die beiden anderen Endungen.

Schaut man sich die Schreibweise von -ow genauer an, so kann man jedoch erkennen, dass es auch hier eine klare regionale Aufteilung gibt, wie im nebenstehenden Bild gut zu erkennen ist.

Schaut man sich die Schreibweise von -ow genauer an, so kann man jedoch erkennen, dass es auch hier eine klare regionale Aufteilung gibt, wie im nebenstehenden Bild gut zu erkennen ist. Demnach finden wir die Schreibweise -au vor allem In der süd-westlichen Siedlungsgegend – wobei die Dichte im Vergleich zum nördlichen Bereich etwas geringer ist. Im nord-östlichen Siedlungsraum dagegen finden wir fast ausschließlich die Schreibweise -ow. Eine Ausnahme sind interessanterweise die Berliner Stadtteile.

Ebenfalls interessant ist, dass es offensichtlich einen Unterschied zwischen dem niedersorbischen/wendischen Siedlungsgebiet und dem obersorbischen Raum gibt: Während im ersten die Schreibweise -ow überwiegt, kommt diese in der Gegend um Bautzen überhaupt nicht vor.

Wichtig ist auch festzustellen, dass das sogenannte Hannoversche Wendland ebenfalls durch Ortsnamen auf -au geprägt ist.

Zwischen diesen beiden Blöcken erstreckt sich auf ganzer Länge ein Band von Ortsnamen auf -o. Diese Form finden wir auch in der Geschichte anderer Ortsnamen (z.B. Spandau), wo sie sich aber nicht durchgesetzt hat.

Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass der nördliche Teil des ehemaligen slawischen Siedlungsgebiets vor allem durch die Endungen -ow (in dieser Schreibweise) und -in (bzw. auch -ien) geprägt ist. Der südliche Teil dagegen wird dominiert durch die Endungen -itz und die Form -au. Dabei verläuft die Grenze im Norden an der Elbe entlang. An den Enden der Grenzen finden wir im Hannoverschen Wendland und in der Niederlausitz Mischgebiete, die beide Formen zulassen (Vergleich dazu den Beitrag zur Verteilung der Ortsnamenendungen an der nördlichen und südlichen Grenze Brandenburgs). Eine ähnliche Sonderstellung hat die Insel Rügen, auf der alle Endungen gleichstark vertreten sind. Die beiden folgenden Karten verdeutlichen das noch einmal:

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Literatur

Literatur
1 Sprachwissenschaftlich korrekt handelt es sich hier nicht um eine Endung, sondern um ein Wortbildungsmorphem. Endungen sind Morpheme, die in der Flexion verwendet werden, also bei der Änderung von Wörtern nach grammatischen Kategorien wie Kasus, Genus, Tempus etc. Wortbildungsmorpheme sind Morpheme, die aus einem Wort (einem Lexem) ein neues erzeugen, also z.B. aus einem Substantiv ein Verb.
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