Deutschland – Ukraine. Wie Ortsnamen uns verbinden

P. Wasserscheidt/ Ortsnamen

Der schreckliche Angriffskrieg Russlands in der Ukraine hat das Land in das Zentrum der Weltöffentlichkeit gestellt. Die Ukraine ist das flächenmäßig größte Land des europäischen Kontinents. Geographisch befindet sie sich sogar in seiner Mitte. Dennoch wissen die meisten EuropäerInnen sehr wenig über das Land, seine Menschen, Kulturen und Sprachen.

Ukrainisch ist eine eigenständige Sprache, die auch mit dem Russischen viel weniger gemein hat, als viele das im Allgemeinen annehmen. Als slawische Sprache verwendet das Ukrainische allerdings die gleichen lexikalischen und morphologischen Grundelemente, die wir auch in allen anderen slawischen Sprachen treffen. Das betrifft natürlich auch die Bildung der Ortsnamen. Auch wenn die Ukraine geografisch weit entfernt scheint so sehen wir doch an den Ortsnamen, die wir hier in diesem Projekt behandeln, dass wir zu einem gemeinsamen europäischen Namensraum gehören.

Wir möchten die Verwandtschaft mit den slawischen Ortsnamen in Deutschland in zwei Beiträgen herausarbeiten. In diesem ersten Beitrag soll es um die Bildung der Ortsnamen im Allgemeinen gehen, die mit den slawischen Ortsnamen im heutigen Deutschland verglichen werden.

Im zweiten Beitrag geht es um einzelne Grundwörter in den Ortsnamen – und wie ähnlich die ukrainischen und die deutschen Ortsnamen sich dabei sind.

Wir finden in der Ukraine prinzipiell die gleichen Grundtypen der Wortbildung wie sie auch in diesem Artikel beschrieben wurden. Gerade bei den älteren Ortsnamen finden wir kaum Komposita, sondern vor allem Produkte der sogenannten morphologischen Derivation, also der Verwendung von Wortbildungsmorphemen um bestimmte Wurzeln abzuleiten. und genauso wie in Deutschland sind die drei Wortbildungsmorpheme -in, -itz und -ow hier genauso häufig vertreten. Allerdings unterscheidet sich das Ukrainische hier teilweise in der Lautung ebenso wie natürlich in der Schreibung der Namen.

-ow und -iw (-iв)

Die Endung (bzw. das Morphem) -ow, die wir häufig in deutschen Ortsnamen slawischer Herkunft wie Pankow, Rudow oder Malchow finden (teilweise als -au oder -o geschrieben wie in Zwickau, Dessau) entspricht im Ukrainischen der Endung -iw (-iв). Hier haben wir Orte wie Charkiw (Харкiв), Tschernihiw (Чернiгiв), Mykolajiw (Миколаїв) oder Makariw (Макарiв). Interessanterweise ist auch die Aussprache des w im Ukrainischen vergleichbar mit der Aussprache welche wir im heutigen Sorbischen finden, in dem das w fast wie ein u ausgesprochen wird (daher auch die Schreibung -au). Alternative Schreibweisen der Ortsnamen, die vor allem in früherer Zeit in deutschen Medien häufig verwendet wurden, entsprechen oft der russischen Form, bei der die Endungen ebenfalls -ow lautet (z.B. Charkow). Genauso wie bei den slawischen Ortsnamen in Deutschland handelt es sich hier um ehemalige possessivische (besitzanzeigende) Adjektive, die von maskulinen Substantiven gebildet wurden.

-in und -yn (-ин)

Die zweite frequente Wortbildungsforum, die auf einem possessivischen (besitzanzeigenden) Adjektiv beruht – diesmal allerdings mit einem femininen Substantiv als Ausgangswort – ist die Endung -in bzw. im Ukrainischen -yn (-ин). Hier wird im Ukrainischen ein hinteres y verwendet (das mit dem kyrillischen и geschrieben wird), kein vorderes i (das im Ukrainischen Alphabet ebenfalls in i ist). Bekannt ist zum Beispiel die Schlucht Babyn Jar in Kiew in welchem die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg ein Massaker an ukrainischen Juden verübt haben. Babyn kommt hier von baba ‘Weib’ und ist eben solch ein besitzanzeigendes Adjektiv (Schlucht des Weibes). In der Ukraine gibt es Ortе wie Malyn (Малин), Dobrosyn (Добросин) oder Bilyn (Бiлин), die in Deutschland Ortsnamen wie Berlin, Schwerin, oder Küstrin entsprechen.

-itz und -ci (-цi), -cja (-ця)

Die sehr frequenten slawischen Ortsnamen in Deutschland auf -itz haben unterschiedliche Ausgangsformen. Zum Teil stammen sie von Stammesbezeichnungen ab, die meistens ursprünglich eine Pluralform waren (-itzi, z.B. Loschwitz, evtl. auch Lübeck). Derartige Pluralform finden wir auch in der Ukraine in Tscherniwzi (dt. meist Czernowitz geschrieben, Чернівці), Stepanzi (Степанці) oder Sawynzi (Савинці). Andere Ortsnamen auf -itz kommen wiederum von der Endung -tza die Ehe für Abstrakta verwendet wird. Im Ukrainischen wird das tz weich ausgesprochen und daher mit einem nachstehenden ja geschrieben (-ца). Diese Form finden wir unter anderem in Winnyzja (Вінниця) und Sosnyzja (Сосниця).

-ka und -ka (-ка)

Das häufigste Morphem in den ukrainischen Ortsnamen ist das Morphemen -ka (-ка) welches wir in Ortsnamen wie Ochtyrka (Охтирка), Kachowka (Каховка), Borodjanka (Бородянка) oder Schostka (Шостка) finden. Häufig wird es in Verbindung mit dem oben erwähnten -iw verwendet, wie in Sofijiwka (Софіївка) oder Stepaniwka (Степанівка). Unter den Ortsnamen in Deutschland ist diese Form eher selten, wir finden sie aber in den Namen von Orten wie Kleinwelka oder Hohenbocka.

-ig und -sk (-ськ)

Ebenfalls sehr häufig unter denen ukrainischen Ortsnamen sind Formen, die aus ehemaligen sogenannten Relationsadjektiven entstanden sind, also Adjektiven die eine Verbindung zu einem Gegenstand oder Ort herstellen. Diese werden auch heute noch im Slawischen mit dem Morphem -sk gebildet. Dazu gehören beispielsweise Donezk (Донецьк), Luhansk (Луганськ), Berdjansk (Бердянськ), Kramatorsk (Краматорськ) oder Wosnessensk (Вознесенськ). In Deutschland entspricht dieser Endung meist die Endung -ig, ist allerdings nicht sehr häufig. Die bekannteste Stadt in Deutschland mit diesem Namenstyp ist wohl Leipzig (Sorbisch Lipsk), andere Ort sind Bad Belzig, Schlepzig und Gaußig.

In der Ukraine gibt es darüber hinaus viele Ortsnamen die von der vielfältigen Geschichte der Ukraine geprägt sind. Von den zahlreichen griechischen Stadtgründungen im Schwarzmeerraum zeugen heute Ortsnamen wie Mariupol, Sewastopol, Melitopol oder Simferopol, bei denen das Element -pol auf das griechische Wort polis ‘Stadt’ zurückgeht. Diese sind nicht zu verwechseln mit Ortsnamen, die in der Grundform auf –pil’ enden, aber in bestimmten Formen auch auf –pol-, zum Beispiel Boryspil’, Ternopil’. Diese Formen haben als zweites Element das ukrainische pil’ (пиль) ‘Feld’.

Share this Post