Ortsnamen mit der Bedeutung Tal oder ähnlich

P. Wasserscheidt/ Migration, Ortsnamen

Ortsnamen, deren Bedeutung mit Tälern, Gruben, Schluchten, Kesseln und ähnlichen geografischen Formationen in Verbindung steht, sind in vielen Teilen der Welt anzutreffen. Diese landschaftlichen Merkmale spielten in der Geschichte der menschlichen Besiedlung ebenfalls eine bedeutende Rolle. Täler boten oft geschützte und fruchtbare Gebiete für Siedlungen, während Gruben und Schluchten aufgrund ihrer topografischen Eigenschaften möglicherweise als natürliche Barrieren oder Grenzen fungierten. Kessel, tiefe Senken oder Mulden, waren möglicherweise besondere Anziehungspunkte aufgrund ihrer einzigartigen Eigenschaften oder ihrer geschützten Lage. Infolgedessen haben sich Ortsnamen, die auf diese geografischen Formationen verweisen, im Laufe der Zeit entwickelt und sind in der Benennung von Orten mit solchen geografischen Merkmalen weit verbreitet. Man denke nur an deutsche Ortsnamen wie Freital, Wuppertal oder eventuell Kassel.

Auch im Gebiet der slawischen Urbevölkerung zwischen Ostsee und Donau findet sich eine Vielzahl von Ortsnamen, die auf derartige geografische Gegebenheiten hinweisen. Tauchen wir also ein in die Welt der Täler, Kessel, Schluchten, Gräben, Mulden und Gräben.

Die Ortsnamen und ihre verschiedenen Wurzeln

Dol ist verwandt mit dem deutschen Wort Tal. Beide gehen auf die gleiche indoeuropäische Wurzel *dho zurück. Das Wort ist in allen slawischen Sprachen vertreten, steht dort aber oft in Konkurrenz mit dem Wort dolina, was ebenfalls ‘Tal’ bedeutet. Auch dieses Wort kennen wir im Deutschen – ist es doch eines der eher seltenen Slawismen im Deutschen. Wir sprechen von Dolinen vor allem in Karstregionen.

Als Grundlage für Ortsnamen kommt das Wort im heutigen Deutschland mehr als 30 Mal vor. Auch in anderen slawischen Ländern finden wir vergleichbare Orte, so zum Beispiel den Kyjjiwer Stadtteil Podil oder eine ganze Reihe von Ortsteilen in Tschechien mit dem Namen Podolí. In einigen Fällen wurde eine Vorsilbe (ein Präfix) vor der Wurzel verwendet, welches die genaue Lage der Ortschaft in Bezug auf das Tal wiedergibt. Oft sind das die Präfixe po– (‘entlang, am’, wie in Pommern, das von po-morje ‘entlang des Meeres’ kommt) oder pred– ‘vor’. Am häufigsten finden wir aber eine Verbindung mit dem Suffix –n und haben daher Ortsnahmen wie Döhlen, Dölln oder Dahlen.


Das zweithäufigste Grundwort der slawischen Ortsnamen aus der Bedeutungsgruppe ‘Tal’ ist kotel. Dieses Wort bedeutet – wie auch in den meisten modernen slawischen Sprachen noch – ‘Kessel’ und ist urverwandt mit seiner deutschen Entsprechung. Das neuhochdeutsche Wort Kessel lässt sich beispielsweise zum gotischen katils zurückverfolgen. Die urslawische Form ist wohl *kotьlъ gewesen (wobei ь ein vorderer und ъ ein hinterer Halbvokal ist). In den Ortsnamen der anderen slawischsprachigen Länder ist diese Wurzel nicht so häufig zu finden. Ein Fall ist das zentralbulgarische Kotel. Es gibt aber auch andere Toponyme, die diese Wurzel verwenden. So ist einer der Berge des westlichen Riesengebirges der Kotel, zu Deutsch Kesselkoppe.

Sprachedolkotel
Polabischdölküötal
Niedersorbischdoł kóśeł
Obersorbischdoł kotoł
Polnischdolinakocioł
Tschechischdůl ‘Mine’kotel
Slowakischdolinakotol
Ukrainischділ [dil]коте́л [kotél]
Belarusischдаліна [dalina]
Slowenischdolina kotel
BKMSdol/do ‘Tal’kotao
Bulgarischдолина̀ [dolina]котѐл [kotel]
Russischдол [dol]котёл [katjól]
Entsprechungen der beiden Wörter dol ‘Tal’ und kotel ‘Kessel’ im Drawänopolabischen und in den modernen slawischen Sprachen. Die Aussprache ist ggf. in eckigen Klammern angegeben. Von ‘Tal’ und ‘Kessel’ abweichende Bedeutungen sind in einfachen Anführungszeichen angeführt.


Beide Wörter sind in den heutigen slawischen Sprachen gut zu erkennen. Das Polabische sticht allerdings etwas heraus, da es als einzige Sprache Umlaute entwickelt hat. Zumindest für das bis ins 18. Jahrhundert gesprochene Drawänopolabische im Hannoverschen Wendland sind daher die Formen döl und küötal belegt. Ansonsten sieht man einige typische Besonderheiten der einzelnen slawischen Sprachen. Im Ukrainischen hat sich beispielsweise das o in geschlossenen Silben (also wenn vor und hinter dem Vokal ein Konsonant steht) in ein i entwickelt. Das i wird aber wieder zum o, wenn sich die Silbengrenzen im Wort bei der Deklination verschieben. So wird aus dil im Genitiv dolu, da das Wort dann wieder zwei offene Silben (do-lu) hat. Im Bosnischen, Kroatischen, Montenegrinischen, Serbischen hat sich das l an vielen Stellen in ein o verwandelt. Daher haben wir nicht mehr kotal, sondern kotao. Beim Wort dol haben wir daher eigentlich nur noch do. Aber ebenso wie beim Ukrainischen erscheint das l in deklinierten Formen wieder, zum Beispiel im Genitiv kotla und dola.

Unter den weiteren Wurzeln, die für die Bildung von Ortsnamen verwendet wurden, finden wir die folgenden:


Jama, soviel wie ‚Grube‘, auch dieses Wort finden wir in vielen heutigen Sprachen. Das Wort hat sich seit dem Urslawischen wahrscheinlich kaum verändert und wird in allen modernen slawischen Sprachen sehr ähnlich ausgesprochen und geschrieben. Als Ortsnamen finden wir im Siedlungsgebiet der slawischen Urbevölkerung Formen wie Jahmen, Jamel oder Jamlitz. Jama treffen wir auch als Nachname wieder.


Krina ‚Trog‘. Die Etymologie dieses Wortes ist nicht eindeutig zu klären. Es steht neben dem offensichtlich aus ihm abgeleiteten krinica ‘Brunnen’ (so heute noch im Ukrainischen), wobei krina diese Bedeutung selbst nicht hat. Das Wort kam früher in ganz unterschiedlichen Formen vor: krina, krinъ, krinovъ, krinъka, obkrinъ: Aber kaum eines dieser Wörter wird heute noch ein den modernen slawischen Sprachen verwendet. Eine Ausnahme sind ausgerechnet die sorbischen Sprachen. Das Niedersorbische verwendet kśina [kschina] ‘Truhe, Lade’ dialektal und das Obersorbische křinja [kschinja] ‘Truhe, Lade’. Als Ortsnamen tragen Kreina, Krien, Kreinitz oder Krienke diese Wurzel in sich. Auch der malerische Fluss Kirnitzsch in der Sächsischen Schweiz (Tschechisch Křinice) geht wohl auf diesen Ursprung zurück.


Měl, soviel wie ‚seichte Stelle‘ oder ‚Untiefe‘, ist die Wurzel für Ortsnamen wie Mölln, Mellen oder Mellin. Der Vokal ě steht für den Laut Jat, der schon im Urslawischen im Wort *mělъ vorhanden war. Die genaue Herkunft dieses Wortes ist umstritten. Am wahrscheinlichsten aber ist es, dass das Wort (ebenso wie *mělь) vom Verb *melti bzw. im späteren Slawischen mleti kommt. Damit wäre es urverwandt mit dem deutschen Verb mahlen und seiner Ableitung Mehl. Heute bezieht sich die Wurzel in den slawischen Sprachen, die sie noch verwenden, auf eine flache Stelle, Sandbank oder Untiefe in einem Fluss. Diese letztere Bedeutung findet sich auch in dem davon abgeleiteten Adjektiv mělk- (oder ähnlich), was ‘flach’ oder ‘klein’ bedeutet, wie beispielsweise im Niedersorbischen měłki ‘flach’ (neben niski). Der bekannteste Ortsname aus dieser Gruppe ist sicher das schleswig-holsteinische Mölln. Die Stadt im Kreis Herzogtum Lauenburg ist bekannt als Eulenspiegelstadt.


Rov bedeutet ‚Graben‘ und ist ebenso wie die bereits im Altkirchenslawischen belegte Form rovъ eine Ableitung vom Verb ryti ‘graben’. Als Ortsname ist die Bezeichnung durchaus üblich. In Polen existieren einige Ortschaften mit der Pluralform von rov, nämlich Rowy, beispielsweise das gleichnamige Ostseebad in der Nähe von Słupsk. Einen anderen Ursprung haben dagegen Ortsnamen, die auch noch ein n in der Wurzel haben, wie das ukrainische Rivne. Diese Ortsnamen stammen vom Adjektiv rovan ‘eben’. Im Gebiet, das uns hier interessiert, finden wir vor allem Kombination von rov mit dem Präfix pre– ‘durch, über’. Auch hier ist ein Ostseebad der bekannteste Vertreter: Prerow.

Sprachejamaměl rov
Polabischjamagrov
Niedersorbischjamawumjeł pśerow
Obersorbischjamapřirow, přěrow
Polnischjamamielizna row
Tschechischjámaměl [mjel] ‘Nehrung’, ‘Schrot’rov
Slowakischjamamel
Ukrainischя́ма [jama]о́бміль [obmil’]рiв [riw]
Belarusischя́ма [jama]
Slowenischjama
BKMSjamamel rov
Bulgarischяма [jama]ров [row]
Russischяма [jama]мель [mjel’]ров [row]
Entsprechungen der Wörter jama ‘Tal’, měl ‘Sandbank’ und rov ‘Graben’ im Drawänopolabischen und in den modernen slawischen Sprachen. Die Aussprache ist ggf. in eckigen Klammern angegeben. Abweichende Bedeutungen sind in einfachen Anführungszeichen angeführt.


Es gibt außerdem unter den Ortsnamen, die von der slawischen Urbevölkerung geprägt wurden, noch weitere Wurzeln, die aber eher seltener verwendet wurden. Dazu gehören zum Beispiel rupa ‘Grube, Erdloch’, kop ‘Hügel‘, gląbok- ‘tief‘, kopan ‘Graben‘ nizk- ‘niedrig’, necka ‘Mulde‘ oder peć [petsch] ‘Höhle’. Das Letztere ist im Übrigen auch die Wurzel für die ungarische Stadt Pécs (sprich Petsch) – und auch für den Teil der ungarischen Hauptstadt am linken Ufer der Donau: Pest. Das Adjektiv gląbok- hat auch Verwendung in der Benennungen von Seen gefunden, etwa dem Glambecksee oder dem Glambecker See.

Verteilung der Ortsnamen in Deutschland

Die slawischen Ortsnamen mit der Bedeutung ‚Tal‘ oder ähnlichem finden sich über das gesamte Siedlungsgebiet der slawischen Urbevölkerung in Deutschland verteilt. Die Karte zeigt alle hier erwähnten Siedlungen. Die einzelnen Orte können über die Karte navigiert werden. Beim Klick auf die einzelnen Punkte öffnet sich ein Pop-up mit mehr Informationen zu den jeweiligen Namen.

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Verteilung nach Bundesländern

Auch wenn die Zahl der Ortsnamen mit einer Wurzel, die Tal, Niederung oder ähnliches bedeutet, nicht besonders hoch ist, so finden wir sie doch über das gesamte Siedlungsgebiet der slawischen Urbevölkerung im Osten Deutschlands gleichmäßig verteilt – von der Eulenspiegelstadt Mölln, östlich von Hamburg, bis Köttlitz in der Oberpfalz. Für eine vollständige Übersicht über die slawischen Ortsnamen im heutigen Deutschland haben wir eine eigene Karte.

In Schleswig-Holstein:

  • Köthel (von kotel ‘Kessel’)
  • Mölln (von miel ‘Untiefe’)

In Mecklenburg-Vorpommern:

  • Dölitz, Dahlen (von dol ‘Tal’)
  • Glambeck (von gląbok– ‘tief’)
  • Jahmen, Jamel (von jama ‘Grube’)
  • Groß und Klein Köthel (von kotel ‘Kessel’)
  • Krien, Krienke (von krina ‘Schüssel’)
  • Melz, Mölln (von miel ‘Untiefe’)
  • Neetzka (von necka ‘Mulde’)
  • Peez (von peć– ‘Höhle’)
  • Prerow (von rov ‘Graben’)
  • Schaalmühle (schaal von skala ‘Schlucht, Höhle’)

In Niedersachsen:

  • Predhöhl, Döhlen (von dol ‘Tal’)

In Brandenburg:

  • Düpow (von d(o)up ‘Höhlung, Loch’)
  • Döllen, Groß und Klein Dölln, Podelzig, Preddöhl, Dahlen, Dollenchen (von dol ‘Tal’)
  • Glambeck (von gląbok– ‘tief’)
  • Jamikow, Jamlitz, Jämlitz (von jama ‘Grube’)
  • Köpenick (von kopan’ ‘Graben’)
  • Kathlow, Köttlitz (von kotel ‘Kessel’)
  • Krimnitz – Kśimnice (von krina ‘Mulde’)
  • Mellen (von miel ‘Untiefe’)
  • Petznick (von peć ‘Höhle’)
  • Neuroofen, Prierow (von rov ‘Graben’)
  • Alt Ruppin, Neuruppin (von rupa ‘Grube, Erdloch’)

In Sachsen-Anhalt:

  • Dolle, Döllnitz, Dölzig, Dahlen, Dehlitz, Döhlen (von dol ‘Tal’)
  • Jahmo (von jama ‘Grube’)
  • Köpnick (von kopan’ ‘Graben’)
  • Karith (von koryto ‘Mulde’)
  • Krina (von krina ‘Mulde’)
  • Mellin (von miel ‘Untiefe’)
  • Netzschkau (von necky ‘Mulde’)
  • Niesau (von niz ‘Tiefe, Niederung’)
  • Priorau, Röwitz (von rov ‘Graben’)
  • Reupzig (von rupa ‘Grube, Loch’)

In Sachsen:

  • Diera, Diehsa, Groß- und Kleindehsa (von d(ź)ěra ‘Vertiefung’ und d(ź)ěža ‘Vertiefung’ )
  • Dölzig, Dahlen, Döhlen (mehrmals) (von dol ‘Tal’)
  • Jahmen – Jamno (von jama ‘Grube’)
  • Köthel, Köttlitz (von kotel ‘Kessel’)
  • Kreina, Kreinitz (von krina ‘Mulde’)
  • Netzschkau (von necky ‘Mulde’)
  • Neußen (von niz ‘Tiefe, Niederung’)
  • Niesendorf – Niža Wjes, Nieska, Niesky (von nizky ‘niedrig’)

In Thüringen:

  • Dölzig, Döhlen (mehrmals) (von dol ‘Tal’)
  • Gahma (von jama ‘Grube’)
  • Coppanz (von kopan’ ‘Graben’)
  • Göldschen, Köthel (von kotel ‘Kessel’)
  • Röpsen (von rupa ‘Grube, Loch’)
  • Schaala (von skala ‘Schlucht, Höhle’)

In Bayern:

  • Köttlitz (von kotel ‘Kessel’)

Besonderheiten

Wie auch bei anderen Ortsnamen, so hat die jahrhundertelange Geschichte und die Einflüsse sowohl der slawischen als auch der deutschen Dialekte die Form der Namen in unterschiedlichen Regionen Deutschland sich unterschiedlich entwickeln lassen.

Eine sehr regelmäßige Veränderung in den unterschiedlichsten Ortsnamen spiegelt sich in der Realisierung der Vokale wider. Rechts in der Karte sind die Reflexe des o in der Wurzel dol ‘Tal’ dargestellt. Wir finden in den Ortsnamen sowohl o und ö als auch e und a. Man sieht, dass die Form Dahlen eher in den nördlichen Regionen zu finden ist. Dagegen dominiert die Form Döhlen in Sachsen und Thüringen.

Das ist insofern interessant, als wir ja gerade in der nördlichen slawischen Varietät – dem Polabischen – die Form döl dokumentiert haben. Sowohl das Ober- als auch das Niedersorbische verwenden dagegen bis heute die Form doł [sprich: dow].

Wir sehen aber auch eine Verteilung von Ortsnamen, die nicht auf dialektale Unterschiede zurückgehen kann. Vielmehr drücken sich hier Präferenzen in der Benennung von geographischen Gegebenheiten aus. Das sieht man am Beispiel der vier Wurzeln gląbok, měl (oder miel), niz und nizky. Nizky ist lediglich ein abgeleitetes Adjektiv vom Nomen niz, daher gehören beide eigentlich zur gleichen Gruppe.

Im Norden des Siedlungsgebiets der slawischen Urbevölkerung hat man es vorgezogen, niedrige oder tiefgelegene Orte mit dem Adjektiv gląbok ‘tief’ oder dem Nomen měl ” zu bezeichnen. Im Süden dagegen finden sich einige Ortsnamen mit den beiden zusammenhängenden Wurzeln niz und nizky, welche wiederum im Norden nicht anzutreffen sind.



Hinweis: die Liste der hier aufgeführten Ortsnamen ist möglicherweise nicht vollständig und nicht absolut korrekt. Es handelt sich um eine laufende Datensammlung, die wir ständig vervollständigen und verbessern.

Für die Erstellung der Einträge und dieses Artikels verwenden wir eine Vielzahl an einschlägiger Literatur. Ein relevanter Literaturverweis ist jeweils in den Einträgen der einzelnen Ortsnamen in der Karte verzeichnet. Für Interessierte findet sich die Liste der benutzten Publikationen hier.

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