Polnische Gastarbeiter

N. Mazunin/ Migration

Migrationswellen

Die ersten polnischen Einwanderer kamen in den 1890er Jahren nach Deutschland aufgrund von Arbeitskräftemangel auf dem Land und der anwachsenden Industrie. In dieser Zeit entstand der Begriff des „Ruhrpolen“.

Mit „Ruhrpolen“ sind die Menschen und deren Nachfahren gemeint, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts teils mit ihren Familien aus dem früheren Königreich Polen, aus Masuren, der Kaschubei und auch aus Oberschlesien ins Ruhrgebiet eingewandert sind und dort meist als Bergleute gearbeitet haben. Die Aussicht auf höhere Löhne, preisgünstige Zechenwohnungen und soziale Aufstiegsmöglichkeiten lockte Tausende polnische Kleinbauern und Landarbeiter in den Westen. Die Gesamtbevölkerung im Ruhrgebiet wuchs von etwa 375.000 um 1852 zunächst auf etwa 536.000 um 1871 an, dann erfolgte bis 1910 eine besonders deutlicher Anstieg auf etwa 3 Millionen und auf schließlich 3,7 Millionen um 1925. Damit war in etwa 70 Jahren eine Verzehnfachung der Gesamtbevölkerung des Ruhrgebiets eingetreten.

Wie bei der Arbeitsmigration in die Bundesrepublik Deutschland in den 1960er Jahren zogen anfangs hauptsächlich polnische Männer ins Ruhrgebiet, die aber rasch ihre Familien nachkommen ließen. Vor dem Ersten Weltkrieg lebte etwa eine halbe Million Polen im Ruhrgebiet. Die große Mehrheit von ihnen wollte nicht in die ländliche Heimat im Osten zurückkehren, sondern sah in der dynamischen Industrieregion an Rhein und Ruhr ihre Zukunft.[1]Glorius, Birgit: Transnationale Perspektiven, Eine Studie zur Migration von Polen und Deutschland, transcript Verlag, Bielefeld, 2007, S.86 ff.

Die nach dem EU-Beitritt Polens im Jahr 2004 beobachtete Abwanderung aus Polen – sowohl die befristetete als auch die dauerhafte Auswanderung – ist die größte Migrationswelle, die Polen in der gesamten Nachkriegszeit (mit Ausnahme einer kurzen Phase in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre) erlebt hat. Nach Schätzungen des Statistischen Hauptamts (Glowny Urzad Statystyczny – GUS) für die Zeit von 2004 bis 2009 hielten sich 1 Mio. (2004) bis 2,27 Mio. (2007) Menschen zwecks Erwerbstätigkeit länger als drei Monate im Ausland auf.[2]Iglicka,Krystyna: POLEN-ANALYSEN, Nr. 78, 02.11.2010, http://www.laender-analysen.de/polen/pdf/PolenAnalysen78.pdf, [letzter Zugriff: 07.02.2016].

Rechtliche Arbeitsvorschiften

Aber wie steht es mit den rechtlichen Vorschriften, wenn ein polnischer Staatsbürger eine Arbeit in Deutschland aufnehmen möchte?

Damals galt noch: Nach dem Beitritt Polens am 1. 5. 2004 zur EU durften polnische Arbeitnehmer erst dann eine Arbeit in Deutschland aufnehmen, wenn sie eine Arbeitserlaubnis hatten. Mit dieser Einschränkung, also die Entscheidung einer Vergabe oder Nichtvergabe von Arbeitserlaubnissen, wollte Deutschland einer hohen Zuwanderung entgegenwirken. Die sog. Arbeitserlaubnis-EU war auf ein Jahr befristet. Nach einem Jahr gab es den Anspruch auf eine Arbeitsberechtigung-EU. Diese war dann unbefristet und bot einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt. Es war somit kein Arbeitsvisum notwendig.[3]http://www.streifler.de/arbeiten-in-deutschland–96-einschraenkungen-fuer-polnische-arbeitnehmer-nach-dem-eu-beitritt-_5565.html [letzter Zugriff: 07.02.2016].

Die Beschränkungen für Arbeitnehmer aus den acht Staaten, die 2004 der EU beitraten, sind am 1. Mai 2011 gefallen. Nun können Bürger dieser Staaten auch ohne Arbeitserlaubnis einen Job in Deutschland annehmen.

Die Arbeitnehmerfreizügigkeit gehört zu den vier Grundfreiheiten des Gemeinsamen Marktes und sichert jedem Bürger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union (EU) das Recht zu, in jedem anderen EU-Mitgliedstaat unter den gleichen Voraussetzungen eine Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben wie ein Angehöriger dieses Staates. D.h. eine Arbeitsgenehmigung ist nicht notwendig.[4]http://www.anwalt24.de/beitraege-news/fachartikel/Arbeitnehmerfreizuegigkeit-2011-Arbeitnehmer-aus-Estland-Lettland-Litauen-Polen-Tschechien-Slowakei-und-Ungarn, [letzter Zugriff: 07.02.2016].

Kindergeldanspruch

Wer in Deutschland arbeitet, darf auch Kindergeld beantragen. Dafür sorgte jetzt auch das Grundsatzurteil aus dem Jahr 2012 des Europäischen Gerichtshofs. Dieses besagt, dass Deutschland allen EU-Ausländern, die hier arbeiten und „unbeschränkt steuerpflichtig“ sind, Kindergeld auch dann zahlen muss, wenn die Kinder in der Heimat beim anderen Elternteil leben. So haben polnische Arbeiter einen Anspruch auf 190 Euro ab diesem Jahr. Davon müssen sie das polnische Kindergeld von ungefähr 10 Euro abziehen.[5]Kemberg, Tobias: EUGH-Urteil löst Antragsflut auf Kindergeld aus, http://www.wz.de/home/politik/inland/eugh-urteil-loest-antragsflut-auf-kindergeld-aus-1.1623284 [letzter Zugriff: 07.02.2016].

Anzahl der Emigranten aus Polen

Bis zum Jahr 2004 war Deutschland das Land, das die meisten polnischen Migranten aufnahm; nach 2004 fiel es auf Platz 2 zurück, aber trotz des geschlossenen Arbeitsmarktes arbeiten in Deutschland Jahr für Jahr ca. 400.000 Polen, vor allem zeitlich befristet, als Saisonarbeiter, als Selbständige oder in der wirtschaftlichen Grauzone. Dabei muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass nach 2004 die Emigration nach Deutschland deutlich anstieg. Der Arbeitsmarkt ist

also gut bekannt, in Deutschland leben Verwandte und Bekannte und die Lohnunterschiede sind für manche Tätigkeiten außergewöhnlich groß.

Aus einer Studie von Prof. Dr. hab. Krystyna Iglicka, Ökonomin und Expertin für Gesellschaftsdemographie, aus dem Jahr 2010 geht hervor, dass Großbritannien von 24.000 polnischen Emigranten mit einem befristeten Aufenthalt von bis zu drei Monaten im Jahr 2002 auf insgesamt 555. 000 Arbeitsmigranten im Jahr 2009 anstieg. Damit belegt Großbritannien den ersten Platz. Deutschland als Zweitplatzierter nahm 2002 noch 294.000 Emigranten auf. 2009 stieg die Zahl auf 415.000. Irland verzeichnete den stärksten Anstieg von polnischen Arbeitsmigranten. Von nur 2000 Migranten dehnte sich die Zahl drastisch auf 140.000 im Jahr 2009 aus.[6]http://www.bpb.de/internationales/europa/polen/41115/tabellen-und-grafiken, [letzter Zugriff: 06.02.2016].

Erfahrungsbericht: Daria und Ewa

Für mich bot sich die Möglichkeit zwei liebe Gastarbeiterinnen aus Polen zu interviewen. Daria und Ewa, dessen Namen ich veränderte, arbeiten seit ungefähr drei Jahren als Reinigungskräfte in einem Hostel in Berlin. Daria ist 40 Jahre jung und war in Polen als Friseurin beschäftigt. Ewa ist 50 Jahre jung und war in einem Betrieb als Einzelhandelskauffrau tätig. Beide Damen kommen aus derselben kleinen Region in Polen und haben sich gegenseitig dazu motiviert eine Arbeit in Deutschland aufzunehmen, da sie noch nie zuvor in Deutschland gearbeitet haben.

Der polnische Reinigungsbetrieb, in dem die beiden Damen waren, wurde von dem Hostel angeworben. Auf die Frage, welche Gründe dazu geführt haben, eine Arbeit in Deutschland aufzunehmen, antworteten sie, dass sie in ihrem Alter keinen anderen Ausweg haben, da es in Polen nicht genug Arbeitsplätze gibt. Zudem gaben sie an, in Polen eine sehr geringe Rente zu erhalten.

Hier in Deutschland erhalten sie wenigstens 8,50 Euro Stundenlohn. Damals, also vor dem Mindestlohngesetz am 1. Januar 2015, arbeiteten sie noch für 5 Euro die Stunde. Im Vergleich dazu würden sie für die selbe Arbeit in Polen, laut eigener Aussage, umgerechnet 3,50 bis 4,50 Euro pro Stunde verdienen. Da Daria nur in Teilzeit angestellt ist, vedient sie etwa 600 Euro im Monat. Ewas monatlicher Verdienst als Vollzeitangestellte summiert sich auf ca. 1060 Euro.

Von diesem Gehalt muss Daria 70 Euro und Ewa 200 Euro im Monat an das Hostel als Übernachtungsgeld abgeben. Für Daria besteht die Möglichkeit, bis zu 7 Tage in Polen zu sein, während Ewa aufgrund ihrer Arbeitszeiten maximal für 2 Tage zurück in die Heimat fahren kann. Soweit sich die Gelegenheit bietet, Fahrgemeinschaften mit Auto, Bus und Bahn zu bilden, nehmen die Damen diese Chance gerne wahr. Doch solche Gelegenheit seien selten, da die einzelnen Arbeitspläne nicht zusammenpassen. Daria beispielsweise gibt 100 bis 150 Euro mtl. für die Fahrtkosten aus. Zu ihrem Heimort fährt sie 4 Stunden mit dem Auto.

Einige persönliche Fragen wollte ich mir erlauben. Ich befragte sie, welche Familienangehörige sie zurücklassen und wie groß die Sehnsucht und das Heimweh sind. Daria beispielsweise ist verheiratet und lässt drei Kinder in der Heimat. Doch das nimmt sie weniger schwer mit und sagt gelassen, dass sie sich eine Pause von ihrer Familie gönnt, wenn sie zurück nach Deutschland fährt. Ewa hingegen nimmt es nicht so leicht auf. Sie ist verwitwet und hängt dementsprechend sehr an ihren zwei Kindern. Und wie sieht es generell mit einer Auswanderung nach Deutschland aus? Da gehen die Meinungen auseinander. Daria gefällt es in Deutschland. Sogar so gut, dass sie es sich vorstellen könnte, hier zu leben. Ewa aber möchte am liebsten bei ihrer Familie in Polen bleiben.

Beide haben gewisse Sprachbarrieren, was die Arbeit im Hostel in manchen Situationen erschwert. Doch es besteht die Möglichkeit auf einen Sprachkurs, deren Kosten vom Staat sogar getragen werden. Auch haben beide für ihre in Polen lebenden Kinder deutsches Kindergeld beantragt. Leider warten sie seit einem Jahr auf eine Zahlung. Die Arbeit in Deutschland sei sogar anstrengender, doch welche weiteren Möglichkeit hätten sie schon, um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu bieten?


Mehr Informationen

www.laender-analysen.de/polen

Literatur

Literatur
1 Glorius, Birgit: Transnationale Perspektiven, Eine Studie zur Migration von Polen und Deutschland, transcript Verlag, Bielefeld, 2007, S.86 ff.
2 Iglicka,Krystyna: POLEN-ANALYSEN, Nr. 78, 02.11.2010, http://www.laender-analysen.de/polen/pdf/PolenAnalysen78.pdf, [letzter Zugriff: 07.02.2016].
3 http://www.streifler.de/arbeiten-in-deutschland–96-einschraenkungen-fuer-polnische-arbeitnehmer-nach-dem-eu-beitritt-_5565.html [letzter Zugriff: 07.02.2016].
4 http://www.anwalt24.de/beitraege-news/fachartikel/Arbeitnehmerfreizuegigkeit-2011-Arbeitnehmer-aus-Estland-Lettland-Litauen-Polen-Tschechien-Slowakei-und-Ungarn, [letzter Zugriff: 07.02.2016].
5 Kemberg, Tobias: EUGH-Urteil löst Antragsflut auf Kindergeld aus, http://www.wz.de/home/politik/inland/eugh-urteil-loest-antragsflut-auf-kindergeld-aus-1.1623284 [letzter Zugriff: 07.02.2016].
6 http://www.bpb.de/internationales/europa/polen/41115/tabellen-und-grafiken, [letzter Zugriff: 06.02.2016].
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