Kaserne Werder: Unsichtbare slawische Spuren der Vergangenheit

V. Schwetje/ Migration

Wie jede andere Stadt hat auch ein kleines Städtchen an der Havel, genannt Werder an der Havel, seine Geschichte. Diese Geschichte reicht bis ca. 10 000 Jahre zurück, bis in die Mittelsteinzeit. Zur dieser Zeit sollten dort die ersten Siedlungen von zusammen lebenden Germanen und Slawen gegründet worden sein. Etwa im 9. bis 10. Jahrhundert, so ist es auf der Webseite der Stadt Werder nachzulesen, wurden dann erste Fischerdörfer gegründet. Im Jahr 1902 standen bereits 15 größere Villen, die von einer malerischen grünen Landschaft umgeben waren, an den Ufern der Havel. Aber so weit möchte ich gar nicht in meinem Blogbeitrag ausholen. Meine Geschichte gehört schon zum 20. Jahrhundert und genau handelt es sich um die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als am 3. Mai 1945 Werder an der Havel kampflos an die Rote Armee übergegeben wurde.

Zuvor, im Jahre 1936, diente der Grund und Boden des Lehrsportflughafens in Werder an der Havel als Fliegerhorst für das gigantische Rüstungsprogramm Nazideutschlands; bis zum Ende des Krieges. Die Fläche betrug 140 Hektar und wurde geheim gehalten.
Die Bewohner der Stadt hofften, dass wenn sie sich freiwillig kampflos ergeben, die Soldaten sie dann gütiger behandeln würden und nicht so stark wie in anderen Städten, plündern und vergewaltigen würden. Dennoch fanden auch in Werder diese ungeheuren Taten statt.
Bald danach bezog der Stab der 286. Jagdfliegerdivision unter Oberst Wassili Iossifowitsch Stalin (1921-1962) den vormaligen Fliegerhorst. Er wurde 1952 „befördert“, wobei eher das Wort „versetzt“ die treffende Bezeichnung wäre. Wegen dienstlicher Vergehen und eines ausschweifenden Lebensstiles wurde er auf persönliche Weisung seines Vaters anderweitig beschäftigt.
Das Militärgelände wurde von der Roten Armee unterschiedlich genutzt. Bis 1957, als der Flugplatz endgültig aufgegeben wurde, unterstand es den sowjetischen Luftstreitkräften, bis 1994 den entsprechenden Landstreitkräften. Optisch auffällig waren ein Lazarett und ein Reparaturwerk für die Pioniertechnik.
Die Rote Armee nahm die Kasernen des Fliegerhorstes in Besitz und beschlagnahmte in der Fliegersiedlung /Brunhildestraße, am Plantagenplatz, auf der Insel und in der Eisenbahnstraße zahlreiche Häuser, deren Bewohner ihr Hab und Gut zurücklassen mussten.

Die Zwangsaussiedlung von Deutschen fand statt, um die Offiziere der Roten Armee und deren Familien unterzubringen. Auch wenn die Familien dann ohne Wohnmöglichkeit waren, wurden die Häuser nicht zurückgegeben. Aufgrund dieser Maßnahmen der Roten Armee entstand unter den deutschen Bewohnern eine Wohnnotsituation. Manche Bewohner versuchten ihre Häuser zurück zu bekommen und schrieben Briefe nach Potsdam an die zuständigen deutschen Behörden, hatten aber keinen Erfolg.

Den Zwangsaussiedlungen folgten Sperrzonen, die durch Holzzäune getrennt wurden. Sie sollte dazu dienen, dass die Kommunikation zwischen Deutschen und Russen unterbunden wird. Die errichteten Lebensmittelgeschäfte in dem Stadtteil, in dem die Deutschen lebten, waren nicht so gut mit Lebensmitteln versorgt wie die Lebensmittelhändler im sowjetischen Stadtteil. Ab und zu trauten sich die deutschen Bewohner der Stadt, das sowjetische Territorium zu betreten, um ins Geschäft zu gehen und einige der begehrten Lebensmittel einzukaufen. Die sowjetischen Soldaten machten dabei eine Auge zu und ließen die Bewohner passieren, obwohl das strengst verboten war. Die sowjetischen Soldaten hätten vor Gericht gemusst und ihren Dienst quittieren müssen, wenn diese Kontakte zu den Einheimischen offiziell bekannt geworden wären.

Es wurde beschlossen, dass der Flugplatz nicht mehr existieren wird. Die Flughallen wurden abgebaut und deren Baumaterialien in andere sowjetischen Besatzungszonen oder nach Russland verfrachtet.

Auf dem Gebiet wurde ein Heizkraftwerk gebaut. Die oberirdischen Rohre trugen nicht gerade zur Verschönerung der Kasernen bei. Im Laufe der Zeit wurden einige neue Gebäude gebaut, leider wurden die alten deutschen Gebäude der Witterung und dem Verfall ausgesetzt. Die neunen Gebäude entsprachen keinen deutschen Bauvorschriften. Es waren eher Behelfsgebäude, die von den dort auszubildenden Soldaten, die keine entsprechenden Baukenntnisse besaßen, selbst gebaut wurden.

Hier in den Spezialkompanien wurden in Halbjahreslehrgängen Wehrpflichtige zu Unteroffizieren für verschiedensten Verwendungen in der Fernmeldetruppen der GSSD ausgebildet. In den Jahren von 1981 bis 1990 wurden etwa 15 000 Mann ausgebildet. Die Lebensqualität in den Kasernen war, anders als in den binnenländischen sowjetischen Kasernen, wohl besser. Es ist auch an der Besoldung abzusehen, die in DM (DDR) ausgezahlt wurde. Aus eigener Erfahrung weiß ich zudem, dass die Frauen der sowjetischen Soldaten für ärztliche Untersuchungen deutsche Ärzte aufsuchen durften, da die medizinische Versorgung bei den deutschen Ärzten auf einem qualitativ höheren Niveau durchgeführt wurde. In den Kasernen befanden sich eine Schule und der Aktowyi Saal, wo sowjetische Feiertage gefeiert wurden und Reden gehalten wurden. Es fanden Sportwettbewerbe zwischen sowjetischen und deutschen Soldaten statt. Die Frauen der Soldaten und selbst die Soldaten durften Ausflüge nach Potsdam, Leipzig, aber nicht nach Berlin machen. Dass das alles überhaupt stattgefunden hat, bekunden die zurückgelassene Fotoalben, die von den hier auszubildenden und lebenden Soldaten selbst gemacht wurden und die Erzählungen von den Augenzeugen. Mehr Material ist nicht übriggeblieben. Die Fotos zeigen den beruflichen Alltag von unbekannten Soldaten: wie sie gebaut, gelebt, gearbeitet haben. Die Fotos zeigten auch plakative Bekundungen real nicht existierender Freundschaft. Die Sportler beider Seiten auf den Fotos stehen manchmal mit mürrischen Gesichtern da. Es ist schwer zu sagen ob sie verloren haben oder ihnen diese Veranstaltung aufgezwungen wurde. Auf anderen Fotos sind auch bei irgendwelchen gemeinsamen Feierlichkeiten die vor Stolz trotzenden sowjetischen Soldaten und freundliche, aber schweigsame, deutsche Soldaten zu sehen.

Ab 1957 fanden auf dem Areal bescheidene bauliche Veränderungen statt: technische Funktionsbauten, vier Familienblöcke sowie ein Kulturhaus wurden gebaut. Das Schwimmbecken wurde instand gesetzt. In den 70er Jahren gab es schon fast keine Spuren mehr vom ehemaligen Fliegerhorst. In Fotoalben steht oft auf Deutsch und Russisch das Wort „Freunde“.
Es gab sicherlich auch richtige familiäre Freundschaften unter den Bewohnern der beiden Sektoren, obwohl sie verboten wurden. Entwickelten sie sich dennoch, wurden sie geheim gehalten. Einige Fotos zeigen auch solche wirklich glücklichen Menschen beider Nationalitäten.

Nach dem Abzug der ausländischen Truppen bekam die Stadt Werder das geschundene Areal zurück übertragen. Auf der größten städtischen Konversionsfläche wurden gewissenhaft die militärischen Altlasten beseitigt. Der Boden vom Areal musste dickschichtig entfernt werden, da tief in den Boden Tonnen mit Brennstoff eingebaut wurden und der Grund dadurch chemisch verschmutzt wurde. Auch die Reparaturen der Militärfahrzeuge und deren Reinigung fanden direkt auf dem Areal statt. Es wurde auf keine ökologischen Maßnahmen geachtet. Es blieben viele Militärfahrzeuge auch übrig. Das alles musste fachgerecht als Sondermüll entsorgt werden. Die Stadt bekam finanzielle Hilfe von den in der Stadt selbst ansässigen Firmen. Aber auch sie besaßen nicht das entsprechende finanzielle Kapital, um mit dem Aufbau neuer Gebäude zu beginnen. Es war ein langes politisches Ringen, bevor mit dem Bau überhaupt begonnen werden konnte.

Es begann zunächst der Aufbau eines attraktiven Wohn-, Gewerbe- und Freizeitgebietes, das sich zu einem neuen Stadtteil mit Gartenstadtcharakter entwickelte und entwickelt.
Die Gebäude werden heute anderweitig genutzt und erinnern überhaupt nicht mehr an die vergangenen Zeiten. Es ist ein neues Wohngebiet auf dem Grund gebaut worden. In der Waldorfschule wurden noch ein paar Backsteinwände unverputzt gelassen. Bei einem Tag der offenen Tür war zu erfahren, dass auch dies ein ehemals sowjetisches Gebäude war, aber mehr wisse man dazu auch nicht. Auf dem restlichen Areal sind ein Einkaufszentrum, ein Altersheim, ein Kindergarten, Luxusmietwohnungen sowie ein kleiner Hafen mit privaten Booten gebaut worden.


Mehr Informationen

Wohnprojekt im ehemaligen Fliegerheim


Literatur

Lambrecht, Rainer/Klaus-Peter Meißner (2012): Havelauen. Dynamik zwischen Friedrichshöhe und Großem Zernsee. Herausgegeben von der Havelauen Projekt Gesellschaft mbH und der TRAX. Gesellschaft für Grundstücksentwicklung und Erschließung mbH. Potsdam: Knotenpunkt Verlag.

Balthasar D. Otto (2001): Ihr Brautkleid war aus Fallschirmseide. Die Stadt Werder und ihr Fliegerhorst, 1934-1945. Werder.

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